oder die Gretchenfrage: "Wie hältst du´s mit der Religion?"
80% Muslime und 20 % Christen – das ist die offizielle Aufteilung der Religionszugehörigkeit in Sierra Leone. (manche fügen noch hinzu: 100% Animisten).
Die Frage ist allerdings: Wer hat diese Zahlen ohne ein staatliches Meldewesen ermittelt?
Aber unabhängig davon ist es durchaus spannend, über längere Zeit in einem anderen religiösen Umfeld zu leben.
Über meine Beobachtungen will ich nachfolgend ein bisschen schreiben.
Wahrnehmung in der Öffentlichkeit
Eins ist klar: Religiosität hat hier grundsätzlich einen viel größeren Stellenwert im Alltag als in der westlichen Welt.
Religionsausübung ist allgegenwärtig, sichtbar und selbstverständlich. Die gläubigen muslimischen Männer kommen gerne im typischen arabischen Outfit daher, Muslima tragen Kopftuch … oder auch nicht. Ganz selten begegnet man einer vollverschleierten Frau.
Es ist nicht so wichtig, welchen Glauben man hat. Aber kein Glaube – das geht gar nicht.
Ob dieser Glaube auch mit einer persönlichen Gottesbeziehung unterlegt ist, steht wiederum auf einem ganz anderen Blatt.
Moschee am Wegesrand UMC-Dorfkirchlein
Vielleicht gibt es tatsächlich mehr Moscheen als Kirchen im Land. Tätige Hilfe in den Bereichen Ernährung, Bildung und Gesundheit wird allerdings vor allem von den vielen christlichen Kirchen geleistet.
Dabei arbeitet die sierra leonische UMC schon immer engagiert und vorbildhaft an vorderster Front, was zu einer breiten Bekanntheit und Anerkennung führt.
Gleichzeitig begegnet einem der muslimische Glauben in für mich bislang ungewohnter Weise im Alltag. So ist es keine Seltenheit, dass man im öffentliche Bereich auf muslimische Gebetsgruppen stößt. Ich musste auch schon mal mit dem Landcruiser einem betenden Motorradfahrer ausweichen, der am Straßenrand eines Highway – halb auf der Straße – sein vorgeschriebenes Gebet verrichtet hat. Immerhin war der Gebetsteppich korrekt nach Mekka ausgerichtet …
Gotteslärm
Selbst auf dem Land haben inzwischen die brachialen Muezzinrufe und Koranlesungen aus dem Laut(!)sprecher Einzug gehalten. Und bei allem gebührenden Respekt – da bin ich doch sehr froh, dass wir in Deutschland ein Emmisionsschutzgesetz haben.
Hier im Lande gilt aber ganz klar: Wer laut ist, der hat recht!
Um fair zu sein: Dieser akustische Overkill begegnet einem durchaus auch im christlichen Kontext. Einmal haben mir doch tatsächlich im Gottesdienst beim Lobpreisteil die Hosenbeine geflattert. Ein anderes Mal fiel eine schwere Lautsprecherbox vom Podest. Das lag dann wohl an den Bässen.
Aber das ist eben nicht fünfmal am Tag oder - während des Ramadans - manchmal auch die ganze Nacht.
Bei ganz kleinen muslimischen Gebetsäusern wird aber auch unverstärkt – mit zum Trichter geformten Händen – zum Gebet gerufen. Bei dem üblichen Umgebungslärm ist das dann schon eher eine anrührende Handlung. Da möchte man fast mithelfen und in die Runde brüllen: "Jetzt seid doch mal leise und hört dem armen Mann zu!".
Und tatsächlich gibt es auch (für meine Ohren) ein oder zwei schöne Gesänge aus den muslimischen Soundspeakers.
Persönlicher Glaube im Alltag
Auch wenn Religiosität hier viel tiefer in der Gesellschaft verwurzelt und sichtbarer ist:
Klagen über Desinteresse und Orientierungslosigkeit der Jugend sowie über abnehmenden Gottesdienstbesuch höre ich von beiden Seiten.
Und bei der Umsetzung des Glaubens im Alltag tun sich die Mitglieder beider Religionen – trotz klarer und sich teilweise überdeckender Wertemaßstäbe - schwer.
Leider haben mich auch (leitende) Christen an dieser Stelle enttäuscht.
Anekdote: Bei einem Einkauf bei einem Schraubenhändler zusammen mit einem Einheimischen, wunderte ich mich, dass keinerlei Verhandlungen stattgefunden haben.
Auf meine Nachfrage gab es die Erklärung: "Der Händler ist Muslim, gerade ist Ramadan und da muss er ehrlich sein und darf uns nicht betrügen. Der Preis ist also in Ordnung."
Manch ein Christ (ja, wohl eher die männlichen) liebäugelt auch mit der Vielehe der Muslime.
Hier spielt aber auch die kulturelle Historie eine Rolle.
Wie in den Anfängen des Alten Testaments gilt/galt eine große Anzahl an (Ehe-)frauen als Zeichen von Wohlstand, Reichtum und Verantwortung. (Schließlich soll ja der Samen eines großen Mannes bestmöglich gestreut und weitergegeben werden.)
Unser ältester Trainer hat mir stolz berichtet, sein Vater hätte zehn (!) Frauen gehabt. Auf Nachfragen hat er allerdings auch zugegeben, dass es nicht ganz einfach gewesen sei.
Diese Wertemaßstäbe und zahlreiche "Girlfriends", die früher oder später schwanger werden, führen zu komplizierten Familien-Konstellationen. Außereheliche Verbindungen sind leider gang und gäbe und das kreiert ungeheuer viel Not und Leid.
So hat mir mal ein Mann in den Fünfzigern seine Stiefmutter vorgestellt, die altersmäßig gut und gerne seine Tochter hätte sein können.
Aber ich schweife ab.
Chrismus
Manch einer (oder eine) bezeichnet sich als "Chrismus" - ein Kunstwort aus Christ und Muslim - und bewegt sich elegant zwischen den Welten.
Attraktiv ist dabei auch, die Feiertage und Privilegien beider Religionen mitzunehmen.
Schon oft haben unsere Studenten innerhalb kurzer Zeit hochflexibel ihre Religion "angepasst", um irgendwelche Vorteile abzugreifen. Versteht man ja … :-)
Die dunkle Seite
Okkultes, Animistisches, Hexerei sowie die Geheimgesellschaften spielen vermutlich eine viel größere Rolle, als ich annehmen möchte.
Erkrankungen und körperlichen Gebrechen bringen diese Themen aber immer wieder nach oben.
Beispiel: Eine Schülerin hatte einen schweren Verkehrsunfall mit offensichtlich mehreren Knochenbrüchen.
Die Eltern weigerten sich (trotz intensivem Zureden und Kostenübernahmeangebot) die Tochter im Krankenhaus (wir haben ein vergleichsweise richtig gutes um die Ecke) behandeln zu lassen und brachten sie zu einem nativen Heiler.
Die Jugendliche hat diese "Behandlung" nicht überlebt.
Interessant dabei: Die "Natives" arbeiten auch nicht umsonst ...
Selbst gläubige Christen suchen bei bestimmten – meist den nicht direkt erklärbaren - Krankheitsbildern Hilfe bei den "Medizinmännern".
Auch bei der Suche nach einem Dieb in unseren Reihen wurde - hinter meinem Rücken – ein Wahrsager eingeschaltet.
Wenn ich dann wieder meine Wirksamkeitszweifel anmelde oder auf die Gefährlichkeit solcher Maßnahmen hinweise, ernte ich mitleidige Blicke: "Du hast doch keine Ahnung, du bist hier in Afrika!".
Die meisten Männer tragen irgendwelche Narbenmuster – meist im Nacken. Diese stammen von kultischen Initiierungsriten in der Kindheit und deuten auf die Zugehörigkeit zu einer Secret Society hin.
Und ja, es gibt auch Geheimbünde der Frauen.
Was den jungen Mädchen aber bei diesen – teilweise (!) durchaus sinnvollen - "Einführungskursen" angetan wird, schreit zum Himmel.
Narben kultischer Riten Schlangenabwehrrinde
Ein anderes Beispiel:
Unser Gärtner schwört Stein und Bein, dass mit diesen Rindenringen Schlangen abgewehrt und vertrieben werden.
Nur Unsinn, jahrhundertealtes Naturwissen oder okkulte Realitäten?
Ich vermag es oft nicht zu beurteilen.
Was ich tun kann ist, auf die befreiende Größe und Stärke von Jesus Christus hinzuweisen, der zu seinen Erdenzeiten ja auch schon mit diesen Fragen konfrontiert wurde.
Und neben praktischer Hilfe kann ich ein Gebet anbieten ... ganz kostenlos ...
Zusammenleben
Grundsätzlich gilt Sierra Leone als Musterbeispiel für ein friedliches Miteinander dieser beiden großen Religionen – was ja grundsätzlich zu begrüßen ist.
Das Government ist mit einer ausgleichenden Gesetzgebung sehr bemüht, "es allen recht zu machen".
"Es ist ja sowieso der gleiche Gott" wird oft als gemeinsamer Nenner genannt.
Und tatsächlich wird (von den meisten) der Glaube des Gegenübers vollumfänglich akzeptiert.
Unser morgendliches Assembly mit christlichen Liedern, langen intensiven Gebetsphasen, dem Vaterunser und beeindruckenden Bibelauslegungen auch junger Menschen zeugt von dieser großen Akzeptanz. Da schmettern auch Muslime Jesus-Lieder.
Und jedes Meeting wird mit einem muslimischen und einem christlichen Gebet gestartet - überall landesweit.
Was verbindet ist das unglaublich tiefe Gottvertrauen und die Erkenntnis der Abhängigkeit vom "Allmighty". Niemand stellt die Existenz Gottes infrage.
Eheschließungen sind da bei ernsthaft glaubenden Menschen schon etwas kritischer.
Meistens übernimmt die Frau die Religion des Mannes, es geht aber auch andersrum oder "gemischt".
Handelt es sich bei beiden um aktive Gläubige, kann es aber schon auch kompliziert werden.
Oft steht jedoch ein völlig anderes Problem im Vordergrund: "Wer bezahlt die ganze Sause?"
Über das friedliche Zusammenleben der Religionen hinaus suchen aber auch hier Menschen nach einer lebendigen Gottesbeziehung und "nach der Wahrheit".
Offene, respektvolle und leidenschaftliche Diskussionen über den Glauben und über die Unterschiede der Religionen sind nicht selten.
Und so durfte ich immer wieder Hinwendungen zum christlichen Glauben erleben.
Eine Konvertierung ist mangels zentraler Mitgliederkarteien einfach zu bewerkstelligen.
Ich vermute mal, dass es nicht selten Doppelmitgliedschaften gibt.
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Der christliche Glaube ist weit mehr als Regelbefolgung und "Seid nett zueinander!"
Zum Glück oder Gott sei Dank, bietet unser Glauben mit Jesus Christus als Kern wesentlich mehr.
Und es tut auch mir gut, mich genau auf diese "Unique Selling Points" neu zu besinnen.
Den Koran zu lesen, kann dabei nicht schaden. Er ist nicht besonders umfangreich und m.E. auch nicht besonders tiefgründig oder gar göttlich. Eher verworren und zum Abgewöhnen.
Eine Beschäftigung mit der Geschichte des Islams liefert weitere gute Gründe, um auf Jesus Christus als Gottes Sohn (!) zu setzen.
Die befreiende Wirkung seines Kreuzestodes ist doch das unübertroffene Alleinstellungsmerkmal unseres Glaubens!
Und dass wir seither "Papa" zum "Allmighty" sagen dürfen … was braucht´s mehr?
Darauf möchte ich bei jeder passenden Gelegenheit hinweisen.
Aber auch hier gilt: Das Leben von Christen ist die einzige Bibelübersetzung, die von allen sehr aufmerksam gelesen wird.
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